Die Entführung der Delia Wright by Lyndsay Faye

Die Entführung der Delia Wright by Lyndsay Faye

Autor:Lyndsay Faye [Faye, Lyndsay]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783423424202
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2015-02-22T00:00:00+00:00


14

Natürlich bilden die Neger eine große und ziemlich beherrschende Gruppe in der Bevölkerung der Points, denn sie vertragen die dort herrschende Verrohung besser als die Weißen (wahrscheinlich, weil sie schon so lange darunter zu leiden haben) und bewahren in all dem Schmutz und all der Verkommenheit mehr Widerstandskraft und Charakterstärke.

George G. Foster: New York bei Gaslicht, und hie und da einem Sonnenstrahl, 1850.

»Aber ich hab meine Papiere nicht dabei, Sir«, sagte das Mädchen zu dem Polizisten, der sie am Arm festhielt wie ein Kalb am Strick.

Sie trug ein orangefarbenes Kleid aus billigem Baumwollstoff. Ihr dickes schwarzes Haar wurde von einem lila Tuch gebändigt. Ihre Stimme klang hell, und man hörte, dass sie aus dem Süden kam, vielleicht aus Georgia. Jedenfalls war sie nicht in New York geboren.

Aber sie war keine entlaufene Sklavin.

Ich verstehe Männer wie Mulqueen nicht. Diesen Drang, etwas Schönes und Reizendes in Fetzen zu reißen, nur um einen Triumph roher körperlicher Gewalt genießen zu können. Manchmal denke ich, dass sie gar nicht wissen, was sie tun. Dass es schiere Bestialität ist wie die, die in dem Bibelvers auf Lucys Haut zum Ausdruck kam. Manchmal denke ich, es ist eine pervertierte Version desselben Drangs, der mich dazu gebracht hat, HENRY WILDE, SARAH WILDE, VALENTINE WILDE, TIMOTHY WILDE in die Rinde der Ulme zu schnitzen, die vor den geschwärzten Trümmern unseres Hauses in Greenwich Village stand. Es war das Bedürfnis, ein Zeichen zu setzen, mich selbst zu bestätigen in der Welt. Meine Trauer greifbar zu machen. Ich hatte mit dem Taschenmesser unbarmherzig auf diesen Baum eingehackt, als hätte er mir ein Unrecht getan. Je nachdem, wie man es betrachtet, erscheinen solche Akte blindwütiger Zerstörung entweder tierisch oder zutiefst menschlich.

Im Moment war mir das komplett egal.

»Ich hab meine Papiere nie bei mir.« Die unruhigen Füße des Mädchens verrieten, dass sie gegen den Impuls ankämpfte, sich einfach loszureißen und davonzurennen. »Nur wenn ich die Stadt verlasse. Die Landstraßen sind unsicher. Glauben Sie mir doch, Sir.«

»Ich möcht ja gern glauben, dass du ordnungsgemäße Papiere hast, die bestätigen, dass du eine freie Schwarze bist.« Er grinste selbstgefällig, seine angelegten Ohren leuchteten rötlich im Schein der Flammen. Er sah aus wie eine Tigerkatze, die sich am Kamin wärmt. »Aber deine Stimme, meine Liebe … So wie du spricht man nicht in New York.«

Ihre Unterlippe zitterte. »Mein Vater hat uns vor zwei Jahren von den Greens freigekauft. Sie haben für mich nur den halben Preis verlangt, zweihundert Dollar. Aus Freundlichkeit. Bitte lassen Sie mich gehen. Meine Papiere sind bei mir zu Hause.«

»Vielleicht könnten wir die Sache in einem Gespräch unter vier Augen schneller regeln, nur du und ich?«

»Lassen Sie das Mädchen los«, sagte ich.

Mulqueens Lächeln fror ein. Ein paar der Tänzer in der näheren Umgebung erstarrten mitten in der Bewegung. All die Leute, die es bisher vermieden hatten, zu der Bank hinzuschauen, starrten jetzt noch konzentrierter woandershin. Der Geiger spielte weiter, mit ruckartigen Bewegungen wie eine Figur auf einem Leierkasten.

»Mr. Wilde.« Mulqueen ließ den Arm des Mädchens nicht los. »Warum sollte ich das tun?«

»Weil ich es sage.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.